„Hast du schon mal über mich geschrieben?“, fragte der Zahnarzt. „Noch nicht. Würdest du das wollen?“, fragte ich zurück, ohne eine adäquate Antwort darauf zu bekommen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nicht genug Material, um eine runde Geschichte draus zu machen. Doch jetzt, wo ein „wir“ endgültig der Vergangenheit angehört, teile ich diesen nie geträumten Sommernachtstraum gerne mit euch.
Unser erstes Date
Er gefiel mir bereits beim ersten Date. Er war gesprächig, voller Leben und machte einen einfühlsamen Eindruck. Ich schätzte ihn als unkompliziert ein und das gefiel mir an ihm. Mir gefielen seine vollen Lippen, seine Stimme, seine flachen Witze, das, was er von seiner Weltanschauung preisgab, sein scharfer Intellekt und auch sein vielseitiges Interesse an Musik, Menschen und Kulturen.
Der Zahnarzt war nicht exakt mein Typ, aber er war mir sofort sehr angenehm. Er hatte so einen sanften Blick und ich merkte, dass er offenbar als Kind geliebt wurde. Das strahlte er in seinem gesamten Wesen aus. Gleich am ersten Abend führten wir weniger oberflächliche Gespräche. Wir fuhren vom Bahnhofsviertel nach Frankfurt-Höchst und ich zeigte ihm eine Kirche, in dessen Kirchgarten wir nicht gelangen konnten. Und einbrechen wollte er nicht, obwohl ich meine güldenen Ballerinas gedanklich bereits über den Eisernen Zaun geschmissen hatte und selbst versuchte, rüberzugelangen.
Wir machen Höchst höchst unsicher
Nebenan stieg eine kleine Party, also gingen wir dort hin. Am Eingang wurden wir darauf angesprochen, ob wir eingeladen seien. „Wir sind Reporter“, sagte ich reflexartig, wie ich das immer tue, wenn ich nicht weiß, was ich sagen soll. Der Zahnarzt würde niemals auf diese Antwort klarkommen und sich noch einige Male fassungslos an diese Geschichte erinnern, als sei sie in irgendeiner Art crazy. Ich fand sie jedoch nicht gerade herausragend und würde mich noch einige Zeit fragen, wie er es aufnehmen würde, wenn ich mal wirklich etwas Verrücktes machen würde. Aber wir kamen rein. Und wir gingen gleich wieder.
Ich zeigte ihm den Höchster Schlossplatz, das Schloss von außen und diese kleine Halbinsel am Mainufer, die unmittelbar nach den Hausbooten kommt. Dort saßen wir und blickten ins nächtliche Frankfurt-Höchst. Er erzählte mir von seiner wilden Jugend. Und ich erzählte ihm von meinem geliebten Job als Journalistin. Er löcherte mich regelrecht mit Fragen und las sogar meine kürzlich veröffentlichen Artikel, während wir da im Gras saßen. Ich habe es geliebt! Genau so verdreht man mir den Kopf: Wenn man mich liest. Und wenn man mich lobt.
An uns schwammen Enten, Gänse, Schwäne und wahrscheinlich auch der eine oder andere Otter vorbei. Dann wurde es Zeit zu gehen. Der Zahnarzt verabschiedete sich mit einem perfekten, gefühlvollen Kuss und zog ab. Wenige Minuten später meldete er sich sogar. Ich war so aufgeregt, ich verpasste sogar meine Haltestelle.
Unser zweites Date im Kloster Eberbach
Nächstes Wochenende sahen wir uns wieder. Der große Mann mit den braunen Augen holte mich ab und wir fuhren zusammen ins fantastische Kloster Eberbach, was natürlich meine Idee war. Es war richtig schön. Wir gingen durch die gesamte Klosteranlage, erkundeten jeden einzelnen Anbau und fantasierten über die Fresken und Reliefs, die wir dort sahen. Er zog mich auf. Das gefiel mir nicht, aber ich spielte dennoch mit und tat ein bisschen so, als sei ich doof. Ich denke, er spürte, dass mich sein Verhalten belastete und ließ es letztlich bleiben. Dann zog er mich richtig trocken beim Memory-Spielen ab.
Später hatte ich wieder das Gefühl, dass er mich ernst nahm. Wir gingen zusammen in den naheliegenden Wald. Er flirtete mit mir, aber ich konnte es, wie ich eben bin, nicht erwidern. Leute, ich arbeite dran, ok? Aber das ist alles ein Prozess und nichts, was man von heute auf morgen beheben kann. Nun denn. So gingen wir durch den Wald und stießen irgendwann auf eine Alpaka-Farm, wo wir uns wie zwei Bescheuerte über die dort grasenden Tiere freuten. Er sprach mich auf dem Rückweg zum Auto auf meine Unfähigkeit zu flirten an. Ich signalisierte, dass ich dem bewusst bin, und er fragte mich, ob ich mich dabei wohlfühlen würde. Würde ich.
Mein drittes Date mit dem Zahnarzt
Beim dritten Date gingen wir zur Nacht der Museen. Ich saß auf der Treppe am Römerberg und wartete auf ihn. Dann kam er – mit einem Cappuccino in der Hand, der in diesem Moment genau das Richtige für mich war. Was ich nicht wusste, ist, dass das vorerst unser letztes Date werden würde.
In der Frankfurter Innenstadt war es wild: Solch Menschenmengen waren auf den Straßen, als sei die Nacht der Museen die letzte Veranstaltung, die jemals stattfinden würde. Entsprechend lang waren auch die Schlangen in die Museen. Wir standen in der, die uns ins Caricatura Museum bringen würde, wo zu dem Zeitpunkt Loriot ausgestellt wurde. Zwar habe ich die Ausstellung bereits gesehen, aber alles, was das Caricatura ausstellt, kann man sich easy mehrfach reinziehen.
Die Nacht, die alles veränderte
Er legte seinen Arm um mich und drückte mich an sich heran. In diesem Moment merkte ich deutlich, dass ich ihm gehören wollte. Ich war wie elektrisiert von seiner Berührung. Es fühlte sich so richtig und so echt an – ich wollte für immer in dieser Schlange stehen bleiben. Die Ausstellung gefiel uns. Dann waren wir im Ikonenmuseum, gingen von dort zu Fuß in den Zoo, wurden nass im Regen und fuhren schließlich mit der historischen Straßenbahn. Als Erinnerung an diesen Abend kaufte er mir dort einen historischen Fahrschein. Den würde ich bis heute behalten und jedes Mal zufällig rauskramen, um diese Fahrt erneut vor meinem geistigen Auge zu durchleben.
Ich nahm ihn mit zu mir nach Hause. Dort zog er mich auch beim Schach eiskalt ab. Dann liebten wir uns. Ich war ziemlich aufgeregt. Es war schön. Dann liebten wir uns wieder und wieder und ich glaub so insgesamt 5- bis 6-mal später kam er in mir und informierte mich darüber. Ich hatte gar kein Bock, mich zu dieser Situation zu äußern. Warum ich das überhaupt zugelassen habe? Weil ich, wie ihr sicher längst selbst gemerkt habt, nicht mehr so ganz alle Tassen beisammen habe. Außerdem bin ich 29 – ihr wisst, was das heißt.
Am Morgen liebten wir uns 2 bis 3 weitere Male. Ich versprach ihm, die „Pille danach“ zu nehmen und er versprach mir, sie zu bezahlen. Weder er noch ich hielten unsere Versprechen. Er meldete sich nicht mehr und ich musste alleine klar kommen. Meine Periode kam circa einen Monat zu spät. Aber sie kam. Zuvor bestand meine Realität aus tränenreichen Nächten und Schwangerschaftstests – und das in Dauerschleife. Zwei Monate lang hörte ich nichts von ihm. Doch wir waren offenbar noch nicht fertig miteinander.