Der selbsternannte Narzisst wartete auf mich in der Abenddämmerung. Ich kam bereits über eine halbe Stunde zu spät. Er trug einen Trenchcoat in Tarnfarben und erinnerte mich etwas an die ostdeutsche Version des Schauspielers Tim Roth. Er war, glaube ich, kleiner als ich. Dann gingen wir in das Restaurant, das er sich für unser erstes Date ausgesucht hatte. Gefallen hat es mir nicht, doch wir verstanden uns ganz gut.
Er schien belesen zu sein und interessierte sich für Kunst und Geschichte. Seine Gestikulation und die gesamte Aufmachung schrien förmlich nach schwerwiegenden Komplexen. Doch ich komme gut klar mit so etwas. Das Leben zwang mich dazu. Darüber hinaus interessiere ich mich für Menschen. Man datet ja nicht gleich, um zu heiraten. Sondern um zu beobachten. Und um ehrlich zu sein, schreibe ich so gerne über meine Horror-Dates, dass ich diese manchmal schon ganz gerne ein bisschen provoziere. Schuldig ;). Aber so haben wenigstens alle was davon.
Beim zweiten Date ging ich mit zu ihm
Der selbsternannte Narzisst lud mich bei jedem Date in Restaurants ein. Die ersten drei Male verliefen ok. Er war ziemlich charmant und geizte nicht mit Komplimenten oder Handküssen. Das gefiel mir an ihm. Mir gefielen auch sein Aussehen und sein Stil. Doch irgendwas war faul. Warum sollte er sonst mit 45 noch Single sein und keine Kinder haben? Der selbsternannte Narzisst war auch nie verheiratet. Sus. Doch dies Rätsel würde sich schon bald auflösen.
Nach dem zweiten Date ging ich mit ihm mit. Er hatte eine 6-oder-7-Zimmer-Wohnung in der Stadtmitte. Nicht restauriert und sehr schlicht eingerichtet. Muss man mögen. Das Bücherregal war Philo-lastig. Spezifische Geschichtsbücher fand ich auch darin. Er kümmerte sich gut um mich. Nachts sprintete er noch raus in die Stadt, um mir eine Zahnbürste zu besorgen. Im weiteren Verlauf des Abends verkostete ich seine Cognac-Sammlung. War schon interessant.
Ganz ganz übler Sex
Im Bett war er gar nicht gut. Ganz und gar nicht gut. Meine rosarote Brille zerschmetterte spätestens dann in 5 Milliarden kleine Teile, als er seine Kleidung ablegte. Es war ein kleiner, kräftiger Mann mit faltigem Arsch und – Achtung – nem Arsch voll Brusthaaren. Mit Tränen in den Augen musste ich während diesem fortwährenden Aus-dem-Takt-Kommen ständig an meinen süßen Fitnessboy denken und mich fragen, was ich hier eigentlich gerade mache. Aber auch nicht all zu lange, wenn ihr versteht was ich meine. Der alte Herr kam viel zu schnell aus der Puste und ich wusste: Das mit uns wird nichts. Er aber flüsterte mir: „Ich steh total auf dich…“ Oh gütiger Gott… Ich weiß doch auch nicht, warum ich immer wieder so ein Scheiß mache. Ich verfluchte alles in diesem grabartigen Zimmerchen, in dem ich lag.
Danach hatten wir noch ein Date, bei dem er mir genau das Gleiche erzählte, wie die ersten beiden Male auch: Von seinen großen Plänen in der Lyrik, davon wie gut er die deutsche Sprache beherrsche und letztlich auch davon, wie die moderne Kunst nichts Neues schafft, aber sich neue Bedeutungsebenen ausdenkt. Ich langeweilte mich. Ich stellte mir kurz vor, dass ich mir das für den Rest meines Lebens reinziehen müsste, wenn ich mich für ihn entscheiden sollte. Das stand natürlich außer Frage. Ficken wollte ich ihn in jener Nacht auch nicht mehr. Nicht mal mit vier Promille würde ich das wollen. Am nächsten Morgen fragte er mich, ob ich einen Mann brauche. Im Halbschlaf antwortete ich: „Wer braucht denn bitte einen Mann?“ Danke, Unterbewusstsein – du findest immer die richtigen Worte.
Der selbsternannte Narzisst ist auch noch Soldat
Dann wurde das ganze kurioser. Er brachte mir Kaffee ans Bett, was ich aber gut fand, und packte seine Sachen. In einem Nebensatz erwähnte er plötzlich, er sei irgend eine Art Offizier bei der Bundeswehr und müsste zu einem Auftrag irgendwo im Arsche Deutschlands. Da war für mich auch der restliche Rest eines Etwas komplett weggebrannt. Soldaten – einfach nein. Ex-Freund und KSK-Soldat Lucifer sucht mich bis heute in meinen Alpträumen heim. Aber das war gar nicht mein Hauptproblem an der ganzen Sache. „Habe ich das etwa nicht erwähnt?“, fragte der selbsternannte Narzisst scheinheilig. „Nein.“ Stille. „Du guckst so fragend, aber fragst nichts“, stellte er fest. „Es gibt nichts, was ich wissen wollen würde. Und auch nichts, was du mir beantworten dürftest“, sagte ich in meiner berichtenden Art, die ich immer aufsetze, wenn ich nicht auf mein Leben klarkomme.
Hätte er es früher erwähnt, hätte ich auch nicht diesen traurigen Sex über mich ergehen lassen. Ihr fragt euch bestimmt, warum ich ihn sonst habe über mich ergehen lassen. Nun. Ich habe sowieso schon viel zu selten Sex, manchmal muss man da einfach durch, Leute (bitte nehmt das mit Humor, man sollte natürlich in keinem Fall etwas über sich ergehen lassen – wer die Entscheidungsgewalt aber hat, hat sie). Aber egal. All die Anzeichen, die ich bislang ignoriert hatte, bildeten sich zu einem Muster: Seine regelrechte Begeisterung dem Krieg gegenüber, Elemente seiner Kleidung und natürlich auch dieses aufgeblasene Getue.
Das Wiedersehen nach einigen Wochen
Nun denn. Alles endete damit, dass ich anfing, ihn zu ghosten. Das würde der selbsternannte Narzisst allerdings nicht auf sich sitzen lassen. Also lud er mich Wochen später zum Frühstück ein. Dort erzählte er mir, dass er ein Narzisst sei. Überraschung. Dann übertrug er diese Diagnose auch auf mich. Ich sei eine Narzisstin, behauptete er. Einen Beleg dafür lieferte ihm, wie er sagte, meine Art, den Raum für mich einzunehmen und durch meine stilvolle, aber aufsehenerregende Art die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
Dann ließ er mich unter Vorwand bezahlen. Kleinlich. Als ich ihn stichelte und seine Bestellung mit „heute bist du aber schlicht unterwegs“ kommentierte, sagte er: „Ja. Jetzt weißt du, dass hinter all dem Prunk ein ganz einfacher Kerl steckt.“ Ich enthielt mich, das zu kommentieren, aber so wie ich mich kenne, stand mir in neonroten Buchstaben, Leuchtreklame-Style, alles im Gesicht geschrieben, was ich mich in dem Moment gefragt hatte und auch all das, was ich von einem solchen Verhalten halte. Vielleicht war das seinerseits auch ein Scherz. Aber so genau will ich es dann doch nicht wissen. Was ich daraus gelernt habe, ist, dass ich nicht mehr online-daten will. Aber es folgten noch weitere Dates mit verlorenen Seelen.