Die Schirn Kunsthalle Frankfurt widmet der Künstlerin Selma Selman (*1991) nur noch bis
zum 15. September 2024 eine Soloausstellung. Nichts wie hin also, wenn ihr auf sowas steht.
Das sagt der Direktor der Schirn zur Ausstellung
„Selma Selman ist eine der energischsten Künstlerinnen der jungen Generation“, findet Sebastian Baden, Direktor der Schirn. „In ihrem emanzipatorischen Werk arbeitet sie eng mit ihrer Familie zusammen. Sie überträgt mit ihren Performances die Lebensrealität nichtprivilegierter Minderheiten in den Ausstellungsraum.“, heißt es weiter
Sebastian Baden sagt überdies, Selmans Arbeit fordere eine kulturelle und ökonomische Umdeutung scheinbar festgelegter Normen, Werte und Zuschreibungen. Für die Ausstellung in der Schirn habe die Künstlerin zwei neue, raumgreifende Arbeiten geschaffen. Darin beziehe sie sich auf Traumata ihrer Elterngeneration und verarbeite diese mit poetischen Gesten.
„Flowers of Life“ zeigt nur wenige Exponate
Stellt euch darauf ein, dass es nur wenige Exponate zu bestaunen gibt. Die Video-Arbeiten jedoch sind knapp eine halbe Stunde lang. Diese wiederum habe ich mir nicht reingezogen, weil ich erst im Nachhinein erfahren habe, dass sie von großer Bedeutung sind. Fan bin ich grundsätzlich nicht von sowas, außer es handelt sich natürlich um so eine crazy Action wie Avatar DOKU bei der Art Basel 2024. Doch ich muss sagen, dass die anderen Besucher der Ausstellung ziemlich von Selmans Videos gefesselt zu sein schienen.
Im Zentrum der Ausstellung steht die und titelgebende Arbeit „Flowers of Life“ (2024). Die raumeinnehmende Installation besteht aus vier gebrauchten Mehrschalengreifern, wie sie auf Baustellen oder Schrottplätzen zum Einsatz kommen. Sie erinnern an bestimmte Szenen aus den Matrix-Filmen. Selma Selman aber verwandelt die massiven Maschinen in blumenartige kinetische Skulpturen, deren Blüten sich mithilfe eines Motors langsam öffnen und schließen. Im Inneren der massiven Metallblüten enthüllen sie Miniaturmalereien der Künstlerin, die Augen von Frauen mit eindringlichem Blick zeigen sollen.
„Flowers of Life“: Umkehrung von männlich und weiblich
Mit „Flowers of Life“ knüpft Selman an ihre bekannten Paintings on Metal (seit 2014) an, Arbeiten mit Altmetall, die zwischen Malerei und Skulptur changieren und auf den Schrotthandel ihrer Familie verweisen. Die sinnlich-florale Interpretation von „Flowers of Life“ spielt mit der Umkehrung von männlichen und weiblichen Zuschreibungen und offenbart zugleich die Frauen als zentrale Trägerinnen der Gemeinschaft.
Mit ihrer Formensprache deutet Selman stigmatisierende Stereotype um, die die patriarchale Mehrheitsgesellschaft rund um die Kultur der Romnja und die Rolle der Frauen konstruiert hat. Die Installation wird begleitet von dem Duft „The Most Dangerous Woman in the World“ (2024), den die Künstlerin in Kollaboration mit Expertinnen kreierte. Dies soll einen Geruch von Motoröl im Raum um die Skulpturen verbreiten. Ich wiederum interpretierte dies als Pheromon-Duft und war kurz davor, da mitten in der Schirn mein Top auszuziehen. Nur ein kleiner Spaß am Rande.
Selmans Herkunft und die Einbeziehung ihrer Familie in ihre künstlerische Praxis sind integraler
Bestandteil ihres Werkes. Und das ist eins der vielen Dinge, die ich an ihrer Kunst cool finde. Insbesondere die intensive Zusammenarbeit mit ihrer Mutter dreht sich um autobiografische Erfahrungen, Sichtbarkeit und Emanzipation als Frau und Romni und hat sich bereits in zahlreichen Werken niedergeschlagen.
Selma Selman: „Crossing the Blue Bridge“
Kommen wir nun zu der filmischen Arbeit „Crossing the Blue Bridge“ (2024, 27:15 Min.), die die Schirn in einer Installation auf zwei Leinwänden zeigt. „Crossing the Blue Bridge“ handelt vom Fortwirken historischer Traumata, von Fürsorge, Mut und Widerständigkeit. Selman schlüpft in die Rolle ihrer Mutter und reinszeniert deren Erinnerung. Der Film geht von Erlebnissen ihrer Mutter im Bosnienkrieg aus.
An einem Tag der Waffenruhe im Jahr 1994 ging die Mutter mit Selmans Schwester in die Stadt, um Lebensmittel zu besorgen und musste auf dem Heimweg die mit Leichen und Tierkadavern übersäte Alija-Izetbegović-Brücke in Bihać überqueren. Beim Versuch die Augen des Kindes zu verdecken und zugleich den schweren Korb mit Lebensmittel zu tragen, wehte der starke Wind ihr die Haare ins Gesicht und verdeckte die Sicht. Selman wiederholt dieses Motiv in ihrer Inszenierung.
In einem eindringlich vorgetragenen Text auf Englisch, Bosnisch und Romanes verbindet sie es u.a. mit Figuren der griechischen Mythologie und stilisiert ihre Mutter zu einer Heldin, die mitverantwortlich ist, dass sich ihre Tochter heute unter widrigsten Bedingungen zu behaupten weiß. Die blaue Brücke wird
so auch zu einem Sinnbild für Selmans künstlerischen Aktivismus, mit dem sie neue Wege erschließt. Das alles und vor allem die Thematik der Mutter als Heldin macht mich natürlich wahnsinnig emotional, weshalb ich tendiere, da tatsächlich noch einmal hinzugehen und mir die Video-Arbeiten vollständig reinzuziehen, damit ich da überhaupt mitreden kann.
Das sagt der Kurator der Schirn Kunsthalle Frankfurt
Matthias Ulrich, Kurator der Ausstellung, über die Künstlerin: „Selma Selman verbindet in ihrem Werk partizipative Kunst, Institutionskritik, Aktivismus und Performance. Im Mittelpunkt steht die Künstlerin selbst. Mit protestierender Stimme und visionärer Präsenz ergreift sie in ihrer Kunst das Wort. Sie führt sich selbst vor und setzt ihren Körper, ihre Stimme und ihre Identität als ein Medium ihrer künstlerischen Praxis sowie der Selbstermächtigung ein. Dabei sind reale soziale Veränderung und gesellschaftlicher Wandel, die Sichtbarmachung und die Stärkung marginalisierten Gruppen und ihrer Community stets das unbedingte Ziel ihrer Kunst.
Fazit
Wie das in der modernen Kunst eben ist, hat auch Selma Selman tiefere Bedeutungsebenen in ihrem künstlerischen Schaffen. Während ich dort war, fand ich die Atmosphäre in dem Raum sehr anziehend. Irgendwie dunkel und gruselig, dann noch diese riesigen Metallblüten mittendrin, die sich langsam bewegen und auch noch der sexy Duft überall im Raum. Ich befand mich jedoch maximal 5 Minuten drin. Ich bin jemand, der sich doch mehr von der Ästhetik angesprochen und angezogen fühlt. Erst, als ich mich später dann in die Bedeutung des Ganzen eingelesen hatte, fand ich die Idee dahinter sehr kraftvoll.
Vor allem finde ich es geil, wie eine junge Frau die Traumata ihrer Mutter nimmt und durch sie ihre Kunst beeinflussen lässt. Das geht wirklich wahnsinnig tief ins Herz. So hat das ganze natürlich einen sehr starken Charakter, sodass man diese Verbindung zwischen Mutter und Tochter als außenstehender Betrachter deutlich spürt. Das finde ich wirklich schön. Außerdem finde ich es anziehend, dass sie sich selbst als Kunstobjekt in Szene setzt. Sehr narzisstisch und dadurch auch sehr sympathisch. Darüber hinaus lässt sie ihre Wurzeln und ihre Herkunft durch ihre Kunst hochleben und für mich ist das immer ein sehr nachvollziehbarer Punkt.
Ihr wisst, wie sehr ich aufgezwungene Bedeutungsebenen in der Kunst hasse. Wir erinnern uns nur mal an meinen Anfall nach der Frieder-Burda-Ausstellung mit Nicolas Party. Was an Selma Selmans schaffen anders ist, ist dass sie ihre persönliche Familiengeschichte zur Bedeutungsebene macht. Und nicht irgendwelche ausgelutschten biblischen Passagen. Dadurch hat ihre Angehensweise nicht diese Banalität, die ich so abgrundtief hasse. Und auch wenn ihre Kunstobjekte nicht gerade alle Sinne meines ästhetischen Empfindens ansprechen, finde ich es geil, was sie macht. Doof hingegen fand ich die runden Zeichnungen. Die sprachen mich weder ästhetisch noch technisch noch sonst wie an. Hingehen lohnt sich aber dennoch.
Ok. Eine Sache noch, dann mach ich hier Feierabend, ernsthaft aber. Ich finde es schön, dass parallel zu „Flowers of Life“ im Städel Museum die Ausstellung „Städelfrauen“ läuft. So hat der diesjährige Sommer in Frankfurt einen eindeutig feministischen Flair angenommen. Angenehm. Tschüss.
Quellen:
- Pressemitteilung der Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main
- und natürlich war ich vor Ort, meine Lieben