Diese brutalistisch angehauchten Wohnhäuser bemerkte ich bereits, als ich zum ersten Mal mit der Straßenbahnlinie 12 nach Frankfurt-Schwanheim fuhr. Ihre kantigen Fassaden ragten zwischen den Bäumen hervor, sodass mir gut einer auf die Architektur abging. Konnten sie wirklich das Werk des fantastischen Frank Gehry sein?
Goldstein-Siedlung in FFM
Die Goldstein-Siedlung in Frankfurt: Eine der spannendsten Siedlungen der Stadt, die ich bisher näher betrachten konnte. Vor Jahrzehnten plante man hier ein Zuhause für alle Gesellschaftsschichten: Arbeiter, Sozialhilfeempfänger, später auch Geflüchtete und sonstige Ausländer, sollten sich hier wohl fühlen und in einem friedlichen Miteinander ihre Kinder großziehen. Die Idee war herzergreifend human, wenn man mal ganz vergisst, dass die NSDAP da ordentlich mitgemischt hat. Was heute davon übriggeblieben ist, ist eine überragende Profitgeilheit einer ganz bestimmten Verwaltungs- und Baufirma, die mittlerweile auf meine offiziellen Presse-Anfragen allergisch reagiert und nur noch mit pampigen Antworten um sich wirft. Für Journalisten ist das natürlich eins der höchsten Güter. Aber gehen wir da heute nicht weiter drauf ein.
Was sind das also für interessante Wohnhäuser, die sich da in Goldstein zwischen den Bäumen blicken lassen? Nachdem sie mir ein ganzes Jahr lang durchgehend ins Auge sprangen, fand ich durch Zufall heraus: Sie sind das Werk des unglaublichen Frank Gehry. Das fand ich bei meinem Besuch im Historischen Museum Frankfurt heraus, als ich mir die Sonderausstellung zu den Frankfurter Fotografien aus längst vergangenen Zeiten ansah. In diesem Moment wusste ich: Ich werde alles über diese Häuser herausfinden. Koste es, was es wolle.
Verwaltung durch die Nassauische Heimstätte omg
Oh Wunder, oh Wunder. Diese wunderbaren architektonischen Bauwerke werden von der Nassauischen Heimstätte (NHW) verwaltet, die ich natürlich an keiner anderen Stelle dieses Textes erwähnt habe. Genau genommen handelt es sich bei den Gehry-Häusern um eine ganze Gehry-Siedlung. Und sie soll das gemeinsame Projekt der NHW und des wunderbaren Frank O. Gehry gewesen sein. Die NHW behauptet sogar, das diese Siedlung das Paradebeispiel dafür sei, dass sie auch Non-Profit-Projekte hat.
Diese Anlage besteht aus 62 Zwei- bis Fünfzimmerwohnungen, darunter auch barrierefreie Ausstattungen. Jede Wohnung bietet durchschnittlich eine Fläche von 73 Quadratmetern. Wie ihr es bereits ahnt, handelt es sich um Sozialwohnungen. Sagen wir vorsichtshalber mal: überwiegend Sozialwohnungen. Errichtet wurde die Gehry-Siedlung zwischen 1994 und 1996.
Frank Gehry Siedlung in Frankfurt: Architektur
Gehrys extravagante Handschrift zeigt sich deutlich in der farbenfrohen Gestaltung der Fassaden mit skulpturalen Elementen und den teilweise mit Zinkblech verkleideten Balkonen und Treppenhäusern. Die Balkone sind wie Logen gestaltet und bieten einen Blick auf einen Innenhof mit Spielbereich.
Zu Anfang seiner Karriere baute Gehry konventionell. Gegen Ende der 70er Jahre veränderte er seine architektonische Formensprache. Er begann, vermeintlich „ärmliche“ Materialien wie etwa Sperrholz und Wellblech einzusetzen. Im Möbelbau sogar Wellpappe. Charakteristisch für Gehrys Baustil sind seitdem abgewinkelte Ebenen, kippende Räume, umgekehrte Formen und eine gebrochene Geometrie. Seine Bauten haben typischerweise auseinanderstrebende Bauelemente, die miteinander verknüpft werden. Das soll ein Ineinanderfließen der Räume realisieren.
Infrastruktur der Siedlung
Aber nicht nur Design und Ästhetik stehen bei der Siedlung im Vordergrund. Die Infrastruktur spielt ebenfalls eine Rolle in diesem Projekt. In unmittelbarer Nähe zur Wohnanlage stehen den Bewohnern eine Sozialstation, ein Jugendzentrum sowie diverse Geschäfte zur Verfügung. Außerdem ein wunderbarer Feldweg zum Spazieren- und Gassigehen sowie auch eine Straßenbahn-Haltestelle.
Die Wohnanlage ist eine Erweiterung der Siedlung Goldstein, die Anfang der 1930er-Jahre nach Plänen des Frankfurter Stadtplaners Ernst May entstand (demnächst ist bei avecMadlen mehr zu diesem Thema geplant). Die NHW pflegt wohl mit dem Projekt ihre Tradition, mit berühmten Architekten und Stadtplanern zusammenzuarbeiten.
Der einzigartige Frank Gehry
Frank Owen Gehry, 1929 in Toronto geboren, ist bekannt als Vertreter des Dekonstruktivismus. Seine Bauten sind auffällig collageartig und folgen keinen strengen Konstruktionsprinzipien. Seine Gebäude fließen ineinander und wirken wie glänzende UFOs am Rande der alten Siedlung. Mit ungewöhnlichen Formen, Farben und Baumaterialien, wie Zinkblech für die Außenfassaden, bringt er ganz neuen Glanz in die „ruhige“ Siedlung Goldstein.
Auch zu diesem Ausnahme-Architekten plane ich demnächst mehr zu schreiben. Bleibt also dran.
So fühlte es sich an, vor Ort zu sein
Natürlich eilte ich hin, als ich erfuhr, dass die Häuser vom Architekten-Superstar sind. Der Weg dort hin war super schön und idyllisch. Die Architektur – überwältigend. Wenn ihr die Gehry-Siedlung besuchen wollt, beachtet bitte, dass dies der Wohnraum der dort lebenden Menschen ist. Hinterlasst nichts, seid leise und verhaltet euch respektvoll – ihr seid auf fremdem Terrain. Stellt euch darauf ein, dass die Anwohner, die auf den Bänken zwischen den Gebäuden sitzen, euch sofort als Fremdkörper identifizieren werden. Versucht daher eher unauffällig Bilder zu machen, aber nicht so auffällig unauffällig wie ich. Eher unauffällig auffällig, versteht ihr? Ja, mein Humor ist heute auf dieses Niveau gesunken.
Das hat mir ganz und gar nicht gefallen
Was mir sehr sehr weh tat, war der Zustand der architektonischen Meisterwerke. Genau genommen, das, was die einen oder anderen Bewohner der Siedlung dort veranstaltet haben. Die Wege drum herum waren sehr gepflegt. Bei den Wiesen sah es schon etwas trauriger aus. Die Häuser haben mich teilweise nur noch deprimiert. Kaputte klingeln und Briefkästen, billige und vor allem leere Blumentöpfe, die von den grafischen Logen-Balkonen hingen, ohne auch nur ansatzweise stilistisch oder farblich dazu zu passen. Billige Sonnenschirme, irgendwelche Boho-angehauchten Dekoartikel und Lampen, Zäune im rustikalen Stil, irgendwelche alten Aufkleber an den Fenstern – einfach nur ein geschmackloser Horror, der diese wunderbare Architektur regelrecht vergewaltigt. Wie immer mache ich keine Bilder vom Hässlichen, weil ich da einfach kein Bock drauf habe. Aber das Hässliche gehört zum Leben dazu – wenn auch nicht in meinen Blog.
Ich finde diesen Billo-Dekowahn wirklich respektlos gegenüber Frank Gehry. Und das hat nichts mit Geld haben oder nicht haben zu tun. Ich weiß genau, was finanzielle Schwierigkeiten sind. Doch sowas Geschmackloses brachte ich noch nicht einmal zustande, als ich mir während meiner Studienzeit lediglich eine Matratze und ein improvisiertes Bücherregal leisten konnte, welches ich übrigens bis heute nutze. Dennoch merkt man schon, dass die NHW da regelmäßig pflegt. Die Farbe an den Häusern war relativ frisch und die Außenanlagen genossen offenbar Aufmerksamkeit. Die Blechelemente der einzelnen Bauwerke waren in gutem Zustand – vor allem für Frankfurt-Verhältnisse. Ich nehme stark an, dass da regelmäßig restauriert wird. Zumindest außen.
Beenden wir diesen kleinen Ausflug mit einer positiven Note. Die Gehry-Siedlung befindet sich nur einen kurzen Spaziergang von meinen geliebten Eiermann-Türmen entfernt. Wenn ihr also einen vollumfassenden architektonischen Orgasmus erleben wollt, plant bitte auch einen Besuch zu diesen ausgefallenen Bauwerken in Niederrad.
Quellen:
- Wie ihr sicher rauslesen konntet, war ich vor Ort.
- 100jahrenhw.de: Frankfurt-Goldstein Ghery-Siedlung
- stadtkindfrankfurt.de: Frank-Gehry-Bau in der Siedlung Goldstein (25. Januar 2022)
- frankfurt.de: Wohnsiedlung in Schwanheim, Gehry steht für Extravaganz
- Meine älteren Recherchen: Anwohner gegen Großbauprojekt – die Stadt schweigt
Mikrokosmos Goldstein: Droht Verlust der Lebensqualität?
Anwohner wehren sich gegen Großbau vor der Haustür