Nur wenige Jahre nach der Unabhängigkeit Marokkos 1956 entwickelt sich in Casablanca ein pulsierendes Zentrum kultureller Erneuerung. Die Schirn Kunsthalle Frankfurt präsentiert das einflussreiche Wirken der Casablanca Art School in einer ersten großen Ausstellung. Diese läuft noch bis zum 13. Oktober 2024.
Wer waren die Köpfe hinter der Künstlerbewegung?
Die Hauptvertreterinnen dieser innovativen Kunsthochschule, Farid Belkahia (1934–2014), Mohammed Chabâa (1935–2013), Bert Flint (1931–2022), Toni Maraini (1941) und Mohamed Melehi (1936–2020), werden zusammen mit Studierenden, Lehrenden und assoziierten Künstlerinnen schnell zu einem Motor für die Entwicklung einer postkolonialen modernen Kunst in der Region.
Ihr Anliegen ist die Öffnung zu den lokalen künstlerischen Traditionen und zur neuen sozialen Wirklichkeit. Unter anderem im Dialog mit den Ideen des Bauhaus wird das Verhältnis zwischen Kunst, Handwerk, Design und Architektur im lokalen Kontext neu bestimmt, künstlerische Einflüsse aus westlichen Metropolen werden mit Elementen des während der Kolonialzeit unterdrückten lokalen Kulturerbes kombiniert. Die Schirn präsentiert rund 100 Werke von 22 Künstlerinnen. Darunter großformatige abstrakte Gemälde, urbane Wandbilder, Kunsthandwerk, Grafiken, Innenarchitektur und Typografie, sowie auch selten gezeigte Filme, Zeitschriften und Fotografien. Sichtbar wird eine spezifisch marokkanische Kunstszene, die sich transnational verortet.
Das sagt der Schirn-Direktort zu der Ausstellung
Das sagt Sebastian Baden, Direktor der Schirn, über die Ausstellung: „Dies ist die erste institutionelle Ausstellung, die das einflussreiche Vermächtnis der Casablanca Art School umfassend vorstellt. Nach der Unabhängigkeit Marokkos gestalteten die Lehrenden und Studierenden der Kunsthochschule von Casablanca einen besonderen Ort für das Kunstschaffen und Kunststudium. Ihr Ziel war es, die Kunst zu dekolonisieren und zu liberalisieren, ihre Werke platzierten sie mit Zeitschriften, Wandgemälden im öffentlichen Raum und Festivals unmittelbar in den Alltag der Menschen. Es ist an der Zeit für eine umfassende Würdigung dieser international vernetzten, wichtigen künstlerischen Bewegung. Diese Schau erweitert die bisherige westliche Deutung der Entwicklung der modernen abstrakten Malerei um eine neue, internationale Perspektive und trägt damit zur Ausdifferenzierung des kunsthistorischen Kanons bei.“
Die Ausstellung ist chronologisch-thematisch in acht Sektionen gegliedert. Diese stellen Werke und zentrale Aspekte des Wirkens der Künstlerinnen der Kunsthochschule von Casablanca sowie einzelne Positionen aus deren Umfeld vor.
Die Anfänge der Casablanca Art School
Die 1919 während des französischen Protektorats gegründete École Municipale des Beaux-Arts de Casablanca (Kunsthochschule von Casablanca – die mit der von ihr ausgehenden künstlerischen Bewegung international als Casablanca Art School bekannt wurde) folgte zunächst westlichen pädagogischen Ansätzen aus der Zeit ihrer Gründung.
Wenige Jahre nach der Unabhängigkeit Marokkos wurde der Künstler Farid Belkahia zum Direktor ernannt. Er leitete die Kunstschule von 1962 bis 1974. Belkahia wollte die marokkanische bildende Kunst und ihr Studium neu gestalten und öffnete die Schule auch für marokkanische und weibliche Studierende. Die Kunsthochschule von Casablanca konzipierte Kunst und Kunststudium in Marokko völlig neu.
Casablanca Art School: Experimente mit interdisziplinärer Kunst
In der Schirn werden Farid Belkahia, Mohammed Chabâa und Mohamed Melehi mit einer Auswahl eigener Werke vorgestellt. Hierbei hadelt es sich um das künstlerische Kern-Trio der Schule. Beeinflusst durch ihre Studien im Ausland und den interdisziplinären Ansatz des Bauhaus verbanden die als Dozenten tätigen Künstler Ideen aus Kunst, Kunsthandwerk, Design und Architektur.
Ein Fokus ihrer Kunst war die Erforschung des afrikanischen und amazighischen Erbes. Es wurden Exkursionen unternommen, bei denen die lokale Archäologie, Keramik, Kalligrafie, religiöse Gemälde sowie Techniken der Weberei, Lederverarbeitung, Schmuckherstellung und Tätowierung studiert wurden.
Mohamed Melehi unterrichtete Malerei, Collage und Fotografie, Mohammed Chabâa Grafikdesign und Raumgestaltung, Bert Flint Visuelle Anthropologie. Die italienische Kunsthistorikerin Toni Maraini richtete den ersten Studiengang in Marokko für die Kunstgeschichte der Moderne ein und formulierte die Visionen der Gruppe in programmatischen Texten und Essays. Kurzzeitig lehrte auch André Elbaz an der Schule.
So fand ich die Ausstellung
Spätestens nachdem ich meinen geliebten Wassily Kandinsky näher kennengelernt hatte, fühlte ich mich zu der abstrakten Kunst hingezogen. Auch bei der Casablanca-Art-School-Ausstellung konnte ich diese Anziehung zum Gezeigten deutlich spüren, jedoch natürlich nicht in diesem verrückten Ausmaße, wie zum Beispiel in der Blauer Reiter Ausstellung im Lenbahhaus in München. Trotzdem fand ich die Ausstellung in der Schirn schön und inspirierend. Man kann die Exponate gut verarbeiten, die Farben freuen das Auge. Vieles kann man zu Hause nachmachen und sich selbst in einfachen Pinselstrichen kreativ ausleben. Wenn man will.
Besonders bemerkenswert fand ich diesmal die Raumgestaltung in der Schirn. Sie war wie eine ganz eigene Form von Kunst. Außerdem war es schön, Marokko von dieser besonderen Seite zu erleben. Parallel zu der Casablanca Art School läuft in der Schirn Kunsthalle eine Solo-Ausstellung von Selma Selman. Kombiticket kostet regulär 16 Euro. Beide Ausstellungen lohnen sich.
Quellen:
- Pressemitteilung der Schirn Kunsthalle Frankfurt
- Ausstellungstexte
- Natürlich war ich auch vor Ort